„Schaung/schau ma moi“. Der Satz ist nicht von Beckenbauer und hieß (auch vor ihm schon) vollständig: „Schaung ma moi, dann seng mas scho.“ So gibt er auch für Außenstehende einen Sinn.
Dieser Satz wirft ein treffendes Licht auf die Münchner Mentalität. Warten wir ab, dann sehen wir schon (ob es etwas bringt/was herauskommt). Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Das muss intus sitzen. Wer diesen Sinn verinnerlicht hat und nach ihm lebt, hat einen Baustein für das Münchner-Sein in der Hand, oder ist nicht weit davon entfernt, einer zu werden.
Ein Münchner will in erster Linie in Ruhe gelassen werden, blüht gerne vor sich hin – auch mal im Biergarten oder an der Isar – und betrachtet dabei sein Umfeld; denkt sich seinen Teil und wenn er meint, es müsse jetzt sein, dann äußert er seine Meinung. Wenn ihm der Kragen platzt, handelt er.
Letzterer Fall ist scheinbar kürzlich eingetreten, als Politiker immer noch kreuz und quer argumentiert haben, ob Flüchtling ’rechts, links, vorne, oben, unten, hinten oder doch nicht’. Da war es vorbei mit „Schaung ma moi.“ Da hieß es „Jetz back mas o!“ und „Jetz zoang mas eahna, wias ged.“
Münchner und München-Infizierte setzten sich in Bewegung – Richtung Bahnhof. Es entwickelte sich eine Eigendynamik. Kurz darauf erinnerten sich auch Politiker ihrer Grundwerte. So entstand weltweites Aufsehen und riss andere mit. Die Welt wunderte sich, wie München tickt. München tickte, wie es immer getickt hat, meist unsichtbar, manchmal sichtbar.
Mich erinnert dieses Verhalten an Olympia 1972. Da war bis zum Starttag auch das „Schaung ma moi, wos werd“ vorherrschend. Das hat sich mit der Fernseh-Übertragung der Eröffnung der Spiele bei den meisten schlagartig geändert.
Münchner sind im Grunde ihres Herzens mitfühlend. Vielleicht hat aber auch nur ein politisch zu Tode gelangweiltes Volk einen Sinn gefunden, wofür es eintreten kann. Mir fällt immer wieder der Bau der Pyramiden ein, wobei der nicht vergleichbar ist, außer, dass etwas Großes gemeinsam geschaffen wurde.
In München wurden Flüchtlinge nicht in erster Linie als Flüchtlinge wahrgenommen, sondern als Menschen, die Hilfe brauchten; Menschen, denen nach Krieg und aufreibender Flucht Paragraphen und Vorschriften im Wege standen.
Hilfe wurde gebraucht. „Die wird gegeben und dann schaung ma moi.“ Die Münchner brauchten nicht erst einen Plan. Doch auch dieser war, wie aus dem Ärmel gezaubert, plötzlich da.
Die deutschen Oberen gingen lange davon aus, dass deutsche Vorschriften einen, in einem Krieg Lebenden mehr beeindrucken könnten, als die Bomben, die ihm dort um die Ohren fliegen. Die Leute auf der Straße waren geistig schon lange weiter; leider beide Seiten.
Bei allem Verständnis für die Sorgen mancher Einheimischer, es sollten Sorgen sein, die sie nachvollziehbar selbst formulieren und nicht herdenartiges Geblöke ohne fundierten Hintergrund. Sie sind eine Minderheit mit Leithammeln, die sehr wohl wissen, wie sie Leute dumm halten können. Wer für Argumente als Gegenargumente nur ’Lügenpresse’ und einem empfohlenen Maulkorb für seine Mitläufer hat, mag zwar Deutsche/r sein, hat aber nichts mit Dichtern und Denkern zu tun.
Wenn mir zwangsweise Pegida in den Sinn kommt, wünsche ich den Leute manchmal, dass sie ihren Willen bekommen; dass keine Fremden mehr nach Dresden oder Meißen kommen, keine Touristen, keine Geschäftsleute; dass sie unter sich ohne Hilfe von außen nach ihren Wünschen weiter im ’Tal der Ahnungslosen’ leben können. Es muss einen Grund haben, warum diese Bezeichnung immer noch kursiert.
Dann empfinde ich aber für die Leute, die dort leben und sich nicht mit Pegida identifizieren. Wenn sie den größeren Anteil an der Bevölkerung stellen, sollten sie das auch zeigen. Vielleicht triebe sie ein Boykott der Gegend dann auch medienwirksam auf die Straße. Aber das ist in diesem Zusammenhang eine andere Baustelle.
Zurück zum erfreulicheren München. Ich will hier keine Diskussion über den Sinn oder Unsinn der Flüchtlingsaufnahme lostreten. Ich wollte nur eine typische Münchner Denkweise darstellen und bin etwas von Thema abgekommen.
Dass es jetzt nicht heißt, das ist aber eine sehr singuläre Betrachtungsweise: (Auch) Münchner haben (auch) andere Facetten. Wenn es so weit ist, werde ich mich vielleicht wieder äußern. Denn ein ebenfalls wichtiger Satz ist: „Mia kenna a andas.“
Man merke sich: Münchner sind sanftmütige Löwen. (Fußball außen vor)